Slam die Wahl

Im Kandidaten-Slam des Kulturzentrums „die börse“ in Wuppertal gibt es politische Positionen zur Kommunalwahl als Lyrik, Rap oder Stand-Up-Comedy. Fast alle Kandidatinnen und Kandidaten machen mit. Bringt das Format Menschen ins Gespräch und an die Urne? Eine Vor-Ort-Beobachtung. 

Dreimal drei Minuten, zwei thematische Runden, eine Runde Freestyle: So sieht er aus, der Kandidaten-Slam des Kulturzentrums „die börse“ in Wuppertal. Zum fünften Mal treten hier Ende August die Kandidatinnen und Kandidaten einer Wahl an, um ihre politischen Argumente als Lyrik, Rap oder Stand-Up-Comedy vorzutragen. Elf Personen wollen das Oberbürgermeisteramt übernehmen. Acht von ihnen sind zum Kandidaten-Slam gekommen. Wie hat Julian Spiegelhauer von der Wuppertaler DemokratieWerkstatt sie alle zusammen auf die Bühne gebracht? „Am Ende des Wahlkampfs sind alle froh, hier nicht auf der 800. Podiumsdiskussion zu sitzen.“ 

Gereimt oder nicht; Hauptsache selbst verfasst

Seit fünf Jahren bietet „die börse“ vor allen Wahlen solche Kandidaten-Slams an. Das Konzept ist den Poetry Slams entlehnt; Sprechbühnen für den kreativen Wettstreit. Regeln gibt es nur wenige. Je nach Zahl der Teilnehmenden wird eine bestimmte Zeit festgelegt, diesmal drei Minuten. Jeder Beitrag muss selbst verfasst sein. Zwei konkrete Fragen sind zu beantworten: zur Nachhaltigkeitsstrategie und zur Kulturpolitik. Die letzte Runde ist dafür da, das Publikum von der eigenen Person zu überzeugen. 

Ansonsten ist das Format offen. Gereimt oder nicht, abgelesen oder frei gesprochen, ernstes Argument oder satirischer Beitrag; erlaubt ist, womit sich die Teilnehmenden wohlfühlen. 

Rund 200 Menschen wollen das in Wuppertal sehen. Der Saal ist rappelvoll. Fragen stellen darf das Publikum nicht; nur klatschen, pfeifen oder schnipsen, um anzuzeigen, ob der jeweilige Beitrag gefällt. „Es wird nicht gebuht“, sagt Co-Moderator Wilko Gerber auf der Bühne. „Denkt daran, dass alle, die sich hier auf die Bühne trauen, Respekt verdienen“, fügt Julian Spiegelhauer hinzu. Dann geht es los.
 

„Drei Minuten, die ein bisschen anders sind, hören sich die meisten Menschen an, auch wenn sie eine andere Meinung haben. Es geht darum, dass wir wieder lernen, andere Meinungen und Ambiguität auszuhalten.“

Julian Spiegelhauer, Organisator

Beobachtung 1: Drei Minuten zu Themen wie Nachhaltigkeit oder Kulturpolitik mag nach wenig Zeit klingen. Tatsächlich aber sind drei Minuten nicht leicht zu füllen, wenn eine Person allein und ohne Zwischenfragen auf den Punkt kommen muss. Fast alle bleiben in oder deutlich unter der Zeitvorgabe. Nur zweimal muss der Gong daran erinnern, zum Ende zu kommen.  

Beobachtung 2: Auch beim Slammen gibt es jede Menge Wahlkampf-Phrasen zu hören. „Was verändern“, „fest zusammenhalten“, „Mind Change in der Verwaltung“ – das alles kommt vor. Aber das Ungewohnte des Formats macht die Teilnehmenden auch unsicher. Hier und da rutscht doch eine Formulierung raus, die das Wahlkampfteam womöglich aus einer Rede gestrichen hätte. 

Hinter den Phrasen blitzt der Mensch auf

Genau dafür ist Frederik zusammen mit seiner Freundin Hannah zum Kandidaten-Slam gekommen. „Ich find’s gut, die Kandidaten auch mal als Menschen zu erleben, dass sie aus ihrer Rolle fallen und sich nicht völlig hinter Bürokratiesprech verstecken.“ Normalerweise informiere er sich über die lokalen und die sozialen Medien oder trete auch mal einer WhatsApp-Gruppe bei. „Aber das ist auch viel Aufwand dafür, dass sich auf lokaler Ebene nicht so viel bewegt.“ 

Beobachtung 3: Wer konkrete Antworten sucht, geht enttäuscht nach Hause. Wie genau nun die Nachhaltigkeitsstrategie umgesetzt werden oder die Kulturförderung künftig aussehen soll, sagt niemand; nicht gereimt, nicht ungereimt. Doch acht Beiträge hintereinander zu exakt den gleichen Fragen zeigen deutlich, worüber sich Wuppertal streitet und wo in diesen Diskussionen die einzelnen Kandidatinnen und Kandidaten stehen. „Mir hilft es sehr, alle Positionen auf einen Blick zu haben“, sagt Kay, der sonst Radio hört oder Zeitung liest, um sich über Kommunalpolitik zu informieren. 

Das kreative Format erleichtert, einander und andere Meinungen auszuhalten

Konkrete Antworten seien auch nicht gefordert gewesen, sagt Julian Spiegelhauer. „Gefordert war, dass sich die Teilnehmenden mit den Fragen kreativ auseinandersetzen.“ Genau das mache es möglich, einander besser zuzuhören. „Drei Minuten, die ein bisschen anders sind, hören sich die meisten Menschen an, auch wenn sie eine andere Meinung haben. Es geht darum, dass wir wieder lernen, andere Meinungen und Ambiguität auszuhalten.“ 

Ein bisschen politische Bildung zur Wahl hat er aber auch untergebracht. Für die Kandidatinnen und Kandidaten gibt etwas zu gewinnen; nicht das Amt des Oberbürgermeisters, aber eine kleine Statue des Künstlers Eckehard Lowisch. Darüber stimmt das Publikum ab. Drei Stimmen in Form von Holzbuchstaben dürfen sie frei auf die Teilnehmenden verteilen. Auch am 14. September geben sie so ihre Stimmen ab. Julian Spiegelhauer: „Solche Grundlagen vermitteln sich spielerisch einfach besser, als den Menschen zu sagen: So, wir erklären Euch das mal.“ 

Unter bestimmten Bedingungen klappt der Slam auch auf dem Marktplatz

Bleibt eine vierte und letzte Beobachtung: Es scheint, als seien die meisten, die zum Kandidaten-Slam gekommen sind, grundsätzlich an Politik interessiert. Würde es sich lohnen, ein solches Format woanders zu machen; auf dem Marktplatz zum Beispiel, wo vielleicht auch die Verdrossenen oder Uninteressierten zu erreichen sind? „Wenn das in eine Veranstaltung wie ein Stadtfest eingebettet ist, und die Leute wirklich bleiben und nicht ständig kommen und gehen, kann ich mir das vorstellen“, sagt Julian Spiegelhauer. 

Wichtig sei dann aber, dass die Moderation mit solchen Formaten vertraut sei, fügt Wilko Gerber hinzu. „Uns ist es wichtig, dass niemand bloßgestellt oder angegriffen wird. Dieses Risiko ist draußen natürlich größer.“